Interview Bielefelder Studio

Spartenübergreifend bedeutet für mich ... #2

Sängerin Alexandra Ionis im Interview mit Inter-Sparten-Manager Alban Pinet.

»Wenn man ganz ehrlich ist, sind Tanz, Schauspiel und Gesang untrennbar.«

Liebe Alexandra, zuletzt konnte man dich als Judith in der Lichtoper Blaubarts Burg auf der Bühne der Rudolf-Oetker-Halle erleben. Obwohl das eine konzertante Aufführung war, hast du mit deinem Partner viel geschauspielert. Inwiefern siehst du dich als interdisziplinäre Darstellerin?

Für mich haben mein Körper, mit dem ich mich bewege, meine schauspielerische Darbietung und mein Gesang schon immer unbestreitbar zusammengehört. Ich habe das eigentlich noch nie in Frage gestellt, dass ich als Mensch, der auf der Bühne performt, das überhaupt trennen könnte. Je nachdem, in welcher Produktion ich bin, je nachdem, was ich zu singen habe, ist das eine mal mehr betont, das andere mal weniger. Aber es geht nie etwas von diesen drei Komponenten verloren. Ich habe das Gefühl, dass ich eher haushalte, was wann welche Priorität hat.


Wie wurden Dir solche Werte in Deiner Ausbildung vermittelt?

Ich hatte in meinem Gesangsstudium über mehrere Semester einen starken, fordernden und ganz tollen Schauspielunterricht bei einem tollen Schauspieler, Matthias Noack, der Karriere im Theater, Film und Fernsehen gemacht hatte. Er hat uns die Grundlagen von Schauspiel gelehrt. Wir haben z.B. klassische Stücke gespielt. Ich war in Schillers Don Carlos, ich habe viele Monologe gesprochen, viel an reinem Schauspiel gearbeitet. Wir haben auch als Gruppe viel mit ihm interagiert und gelernt, wie man auf den anderen reagiert, wie man immer einen Subtext hat. Immer. Sein Credo war: „Du musst die Figur, die Du spielst, verteidigen.“
Und wenn man das in jungen Jahren so intensiv eingebläut bekommt, wird man das nie wieder los. Ich bin sehr dankbar dafür. Der Tanz hat mich eigentlich seit meiner Kindheit begleitet. Auch wenn man mir das nicht auf den ersten Blick ansieht, habe ich Ballett getanzt und später in meinen Produktionen immer Tänze bzw. eine physische Interpretation angeboten. Ich habe in Produktionen auch öfter schon wirklich getanzt, nie wie ein Profitänzer, aber auf meine Weise.


Hast Du den Eindruck – ohne andere Künstler*innen zu bewerten –, dass der Platz des Tanzes und des Schauspieles innerhalb von Gesangsausbildungen genug thematisiert wird? 

Die Spitzenleute, mit denen ich arbeite, sind offen und breit ausgebildet. Starke Darsteller*innen, die hier in Bielefeld und international zu sehen sind, können sich auch toll bewegen und phantastisch schauspielern. Ich schätze das sehr an den Kolleg*innen, mit denen ich arbeite. Man sieht sofort, wer das kann und dann kann man tolle Sachen miteinander machen.


In dem Stück Zazá hast du an der Seite von Studio-Mitgliedern Amy Lombardi und Luca Völkel auf der Bühne gestanden. Inwiefern hast du ihre Präsenz und ihre Expertise wahrgenommen? Wie bereichernd waren sie für die Produktion?

Ich bin zwar erst bei der Wiederaufnahme zu der Produktion gekommen aber habe sie sofort als vollwertige Mitglieder des Zazá-Teams wahrgenommen und so mit ihnen arbeiten können. Ich hatte das Gefühl, dass sie sehr professionell sind. Sie sind auch toll mit der Figur verwachsen, die sie spielten. Es hat Spaß gemacht mit ihnen zu interagieren. Ich habe z.B. zusammen mit Amy gelauscht, was Zazá mit dem Bariton bespricht, und dann hat sie auch auf mich reagiert. Wir waren im Flow und haben einander Blicke und Reaktionen angeboten. Wir waren auf Augenhöhe und die Zusammenarbeit war immer interessant und offen.


In der letzten Spielzeit warst du die Mentorin von unserer Studio-Sängerin Chiara Ducomble. Wie hast du deine Mentoring-Aufgabe verstanden? Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Chiara entwickelt?

Ich wollte erstmal Chiara kennenlernen. Ich wollte ihren Entwicklungsstand sehen und ich wollte schauen, was sie für Wünsche und Ziele hat. Um den Stand ihrer Entwicklung in Erfahrung zu bringen, haben wir eine kleine Audition vereinbart. Sie hat sich Stücke selber ausgesucht und sich mir als Sängerin vorgestellt. Ich fand das sehr mutig und toll, dass sie diese Idee von mir angenommen hat. Wir haben die Pianistin Anahit Ter-Tatshatyan dazu geholt und Chiara hat mit mir eine Audition gemacht, einfach damit wir diese Situation simulieren: Eine Sängerin kommt rein und stellt sich vor. Sie hat mir einige Arien vorgesungen und ich habe mir dann ein paar Gedanken gemacht und ihr ein Feedback gegeben. Mir war auch wichtig zu erfahren, wie sie darauf reagiert und was sie darüber denkt.
Dann haben wir uns in einem Café getroffen und über Wünsche, Ziele, Träume gesprochen. Wir haben einige Arbeitssessions gemacht, weil sie sich dafür offen gezeigt hat. Im Laufe der Spielzeit haben wir ein bisschen an ihrem Repertoire gearbeitet. Es war eine Hybridform zwischen Kollegin und Lehrerin, ich war nie nur die Lehrerin, ich war immer auch die Kollegin. Außerdem habe ich Chiara an die Deutsche Oper eingeladen. Sie war auch mein Gast bei den Bayreuther Festspielen. Sie hat bei mir übernachtet und war in meinen Vorstellungen vor Ort. Wir haben uns auch darüber unterhalten, wie man mit Agenten schreibt, wie man Agenten trifft usw.
Als ich als junge Sängerin in das Business rausging, wusste ich selbst wirklich sehr wenig über Vorsingen und Agenturen. Es gibt viele Dinge, die man nicht im Studium lernt, weil sie nicht Teil des Studiums an einer Hochschule sind. Ich wollte mein heutiges Wissen mit ihr teilen. Am Ende habe ich sie auch auf ein bestimmtes Engagement vorbereitet. Mir war wichtig, ihr alles mir mögliche zu geben.


Ich kann mich erinnern, dass Chiara mir sagte, in zehn Jahren so zu sein wie Alexandra wäre ihr Traum.

Sie soll so sein, wie sie ist, in zehn Jahren. Das war meine Message, finde Deinen Weg, finde Dein Standing, sei fleißig und sei gut.


Du hast in der letzten Spielzeit an zwei unserer spartenübergreifenden Laboratorien1 teilgenommen. [1Der Sparten-Lab ist ein Ort der Begegnung zwischen den Darsteller*innen und Musiker*innen unserer Sparten. Sie finden an ausgewählten Terminen statt. Ihr Inhalt wird kuratiert, kann aber auch nach Wunsch anders gestaltet werden.] Was bleibt dir in Erinnerung? Was hallt nach?

Ich kann mich sehr gut an beide Termine erinnern. Ich habe beide Workshops unglaublich geschätzt und mich so wohlgefühlt und frei. Es war unglaublich wertvoll, weil ich normalerweise mit viel innerem und äußerem Druck zu tun habe und hohe Ansprüche an mich selbst stelle. Es ist daher so schön gewesen, in einem safe space gar keine Ansprüche an mich zu stellen, sondern einfach mit anderen Künstler*innen zusammen zu sein und Dinge auszuprobieren.
Ich tausche mich so gerne mit Schauspieler*innen und Tänzer*innen aus, weil sie mich so inspirieren. Wenn wir uns von a nach b bewegen sollen und ich mir dabei anschauen darf, wie das ein Tänzer macht, das inspiriert mich. Wenn ich mir anschaue, wie eine Schauspielkollegin mit Sprache umgeht, wenn sie mir was erklärt, wenn sie mir ihre Übungen zeigt, das inspiriert mich. Das erinnert mich dann auch an mein Studium, da werden andere Sachen und Erinnerungen wach. Man kann wieder aus seiner eigenen Gedächtnisschatulle kramen. Ich finde das ganz wertvoll. Es war ein wertungsfreier, inspirierender, schöner Raum ohne Druck.


Vergessen wir mal für eine Sekunde alle einschränkenden Faktoren (finanziell, organisatorisch...). Kannst du eine Szene beschreiben, die sich wirklich spartenübergreifend anfühlen würde? Was tust du da? Mit wem interagierst du?

Ich habe ja in spartenübergreifenden Uraufführungen mitgespielt, wo ich sowohl Sprechtexte und Tänze hatte, als auch gesungen habe. Es waren neu geschriebene Opern, z. B. die Kinderoper Schneekönigin an der Deutschen Oper, oder Subotnik an der Neuköllner Oper. Letzteres war auch wirklich hybrid mit einer Sängerin, einer Schauspielerin und einer Pianistin. Wir haben uns im Probenprozess die Bälle zugeworfen und ein Stück entwickelt, das sich wirklich spartenlos anfühlt. Ich würde eine solche Kreation gerne wieder mitmachen. Am besten mit einer Uraufführung, die aktuelle Ereignisse thematisiert. Damit es sich wirklich spartenübergreifend anfühlt, müsste man von Anfang an neben dem Gesang auch Sprechanteile in die Komposition integrieren, aber auch Szenen, die Körperlichkeit betonen. Wenn es um bereits geschriebene Werke geht, vor allem Werke aus den länger zurückliegenden Zeiten, kann man immer noch Spots finden, wo man sehr viel Körperlichkeit haben kann.
Ich würde mir sehr wünschen, sollte ich jemals eine Carmen machen, dass man Tänze reinbaut, die ich dann als Carmen tanzen würde. Ich würde nicht wollen, dass die Carmen statisch ist. Ich würde auch mit einem Tanzcoach arbeiten und mit ihm wirklich Körperlichkeit erarbeiten. Mir wurde in Valencia auch – jetzt fällt es mir ein – einmal eine Tänzerin als Coach zur Verfügung gestellt, weil ich als Figur sehr starke Körperlichkeit haben wollte. Wir haben uns für eine Tanz- und Bewegungssession getroffen und wirklich ausprobiert, wie ich mich auf der Bühne bewegen kann. Ich war so eine monströse, überzeichnete Figur und ich habe mit dieser Tänzerin erarbeitet, wie ich Drehungen machen kann, wie ich meinen Körper einsetzen kann, um wie ein Freak über meinen Körper zu wirken, nicht nur über meinen Gesang. Ich bin da total offen.
Ich würde aber ungerne Körperlichkeit übertreiben, wenn ich sehr dramatische und schwere Sachen zu singen habe. Da muss der Körper ruhig sein, damit die Stütze funktioniert. Aber es gibt genug Szenen und Momente in den verschiedensten Stücken, wo das nicht der Fall ist, und die muss man als Profi suchen und ausprobieren.


Welches Stück hast du schon mal gesehen und gedacht: Das ist der Inbegriff von „spartenübergreifend und interdisziplinär“? Was sind die Gründe, die dich dazu bewegt haben, ausgerechnet dieses Stück auszuwählen?

Tatsächlich bei der Schneekönigin an der Deutschen Oper und bei Subotnik an der Neuköllner Oper. Das war der Inbegriff für Hybridformen und das Stück war auch so besetzt. Im Letzteren waren wir eine Schauspielerin, eine Sängerin und eine Pianistin. Ich kann nicht sagen, dass es irgendwelche Grenzen gab. Es gab pure Freiheit. Natürlich erarbeitet mit Regie, aber ich habe Dialoge gesprochen und gesungen und getanzt. Es gab einen Messertanz in Die Schneekönigin und da habe ich losgelegt und losgetanzt als Räubertochter und man hat auch die Zuschauer*innen total abgeholt. Außerdem hat man durch die Sprechanteile zwischendurch einen ganz anderen Fokus legen können. Es wurde intimer, ruhiger, konzentrierter, und dann wieder der Sound der Musik, archaischer und größer, es gab Wechsel von laut zu leise.
Ich habe auch in Opern von Aribert Reimann gespielt, wo die Übergänge zwischen den Disziplinen fließend waren. Ich bin aus der Sprache ins Schreien gegangen und aus dem Schreien ins Singen. Er hat schon in den 80er Jahren oder früher mit diesen Hybridformen angefangen zu spielen. Eigentlich, wenn man ganz ehrlich ist, geht das schon auf Mozart und früher zurück, und zwar mit den Singspielopern. Da gibt es auch schon Bewegungen und Sprache.
Wenn ich darüber nachdenke, war es schon immer so, dass man unterschiedliche Disziplinen beherrschen musste. Vielleicht gibt es dann so eine Abzweigung zu den durchkomponierten Werken der Romantik, wo das weniger wurde, und die Konzentration wirklich sehr stark auf der Musik und der musikalischen Seite liegt. Aber da hört auch der schauspielerische Subtext nie auf, niemals. Man muss sich auch auf einem Ball bewegen können, einen Walzer tanzen können. Auch in der Romantik gibt es diese Situationen, wo man Tanzelemente hat. Wenn man ganz ehrlich ist, sind Tanz, Schauspiel und Gesang untrennbar. Die Zuschauerschaft sieht, wer diese Möglichkeiten nutzt und wer nicht. Und wenn man das nutzt, ist das immer eine Extraprise Salz und Pfeffer bei der Darstellung. Jemand wird dadurch zu einem Magnet, den man beobachten möchte, dessen Geschichte man noch aufmerksamer verfolgt auf der Bühne.


Welche Notwendigkeit siehst du darin, spartenübergreifende Produktionen öfters zu machen?

Man muss auf jeden Fall Komponist*innen und interessanten zeitgenössischen Schriftsteller*innen Aufträge für neue Stücke verteilen und ihnen von Anfang an ans Herz legen, das Stück spartenübergreifend und hybrid zu konzipieren.


Bis jetzt hast du am Theater Bielefeld noch nicht an einer spartenübergreifenden Produktion teilgenommen. Wie groß (oder klein) ist dein Wunsch, an einer solchen Produktion teilzunehmen?

Bei Moby Dick war ich noch nicht am Haus, und beim Sandmann wurden andere wundervolle Kolleg*innen besetzt. Aber ich kann verraten, dass ich ein Gespräch geführt habe und vielleicht bald in einem aufregenden Stück mitwirken werde, bei dem es viel Raum für alle Disziplinen gibt. Da würde ich sehr gerne viel tanzen und schauspielern. Es handelt sich dabei nicht um eine neue Komposition. Aber grundsätzlich: wahnsinnig gerne.


Wenn du eine weitere Expertise lernen könntest, welche wäre das?

Alles: Ich bin unersättlich. Vielleicht speziell Tanz, weil ich bereits heute deutlich mehr schauspielere als tanze. Man muss bei Regisseur*innen die Offenheit für andere Disziplinen zeigen, dann wird es auch angenommen. Man muss verrückt sein, man muss anbieten und nicht nur warten, bis man etwas gesagt bekommt.

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